Mehr Wohl für den Einzelnen = mehr Wohl für die Gesellschaft?

Oder was genau ist die Gemeinwohlökonomie?

1/9/2024

Jane

Bild geteilt in der Mitte. Links Industrie mit einer Stadt im Hintergrund und ein Feld mit Arbeitenden im Vordergrund. Rechts das gemütliche Beieinandersein auf dem Land, mit ein bisschen Wasser und der Sonne sowie Bergen im Hintergrund.

Die Gemeinwohl-Ökonomie verschreibt sich seit 13 Jahren der Idee, dass durch Wirtschaft für das Gemeinwohl, Macht in Maßen und der Nutzung der Umwelt innerhalb ihrer natürlichen Grenzen die Lebenschance der zukünftigen Generationen nicht geschmälert werden. Innerhalb dieser Idee sind Unternehmen nicht zur eigenen Vermögenssteigerung da, sondern für das Gemeinwohl. Alle Menschen dürfen darin würdevoll leben und die Arbeit solle sinnstiftend sein. Darüber hinaus soll der Mensch frei sein, frei die eigene Biografie zu gestalten.

Diese Idee der Gemeinwohl-Ökonomie wurde unter anderem von Christian Felber geprägt. Er nennt es ein Wirtschaftsmodell, eine alternative Wirtschaftsordnung, die aus 20 Schlüsselementen besteht. Diese Schlüsselelemente sind, die Grundwerte der Gemeinwohl-Ökonomie, welche die Vertrauensbildung, die Wertschätzung, die Kooperation, die Solidarität und das Teilen umfasst. Denn Menschen seien in funktionierenden Beziehungen am glücklichsten.

Weitere Elementen sind, dass Kooperation belohnt werden solle, Konkurrenz zu Nachteilen führt, dass das Gemeinwohl-Produkt und nicht der BIP den wirtschaftlichen Erfolg misst. Dazu können Unternehmen mit guten Gemeinwohlbilanzen Vorteile erwarten. Diese Vorteile umfassen, niedrige Steuern, Zölle, günstige Kredite, Vorrang bei öffentlichem Einkauf und bei Forschungsprogrammen. Dabei wird die Finanzbilanz zum Mittel zum Zweck und wird durch den neuen Unternehmenszweck: Beitrag zum allgemeinen Wohl ersetzt. Somit werden bilanzielle Überschüsse für Investitionen, Kreditrückzahlungen sowie begrenzte Ausschüttung an Mitarbeitende genutzt. Dazu sollen Unternehmen nicht mehr nach Gewinn streben und dadurch wieder zu einem natürlichen Wachstum zurückfinden, ohne ein „fressen und gefressen werden“. Dieser Umstand soll auch dazu führen, dass Kooperation leichter fällt, da der Konkurrenzzwang wegfällt. Dazu kann durch kontrolliertes Wachstum auch der ökologische Fußabdruck reduziert werden. Weiterhin soll die Arbeitszeit auf 33 bis 30 Wochenstunden reduziert werden und jedes zehnte Berufsjahr stellt ein Freijahr mit bedingungslosem Einkommen dar. Dies sind noch lange nicht alle Elemente, aber es wird klar, dass es sich hier um einen ganzheitlichen Ansatz handeln soll.

Jedoch ist dieser Ansatz auch so umsetzbar? Dr. René Schmidpeter ist der Auffassung, dass es an vielen Punkten Felbers hackt. Beispielsweise spricht Felber von Vertrauensbildung und unterscheidet dabei nicht zwischen Klein- und Großgruppen. Dabei verkennt er, dass sich ein Mensch gegenüber Fremden anders verhält, als gegenüber Bekannten. Somit ist sein Vorschlag, dass man Werte und Verhaltensweisen von Klein- auf Großgruppen überträgt, nicht haltbar. In Felbers Schriften wird klar, dass er den Wettbewerb als Grund allen Übels sieht. Beispielsweise sagt er aus, dass der Wettbewerb wahre Kooperation verhindert. Dem entgegnet Schmidpeter, dass der Wettbewerb erst dafür sorgt, dass fairer Tausch und Kooperation zustande kommt. In Bezug auf das Freijahr alle 10 Jahre beschreibt Schmidpeter, dass dadurch der Fachkräftemangel eher noch angeheizt wird, als dass es die Arbeitslosigkeit schmälert. Denn nur durch ein Freijahr würden nicht mehr Menschen sich für eine bestimmte Ausbildung oder ein bestimmtes Studium entscheiden.

Nach Schmidpeters Urteil hat Felber keine Gemeinwohl-Ökonomie, sondern eine Gemeinwohldiktatur beschrieben,

welche die positiven Seiten der Marktwirtschaft zerstört und die schlechten Seiten einer Planwirtschaft promotet.

(Schmidpeter, 2012)

Man kann nicht leugnen, dass Schmidpeter valide Punkte gegen die Ideen von Felber hat. Jedoch heißt das nicht, dass nicht auch etwas Gutes daraus entstehen kann. Deshalb möchte ich hier einmal die Gemeinwohl-Matrix vorstellen, die von der Bewegung für die Gemeinwohl-Ökonomie erstellt wurde.

Die Gemeinwohl-Matrix besteht aus Berührungsgruppen und Werten, die miteinander gekreuzt werden.

Gemeinwohl-Matrix der Gemeinwohlökonomie

Die erste Berührungsgruppe sind die Lieferant*innen. Dabei sollen die Produkte aus menschenwürdig hergestellten Materialien gefertigt werden. Die Geschäftsbeziehung zu diesen Lieferant:innen soll aus Fairness und Solidarität bestehen und das Unternehmen erkennt eine Mitverantwortung an der menschenwürdigen Zulieferkette an. In Bezug auf die Umwelt wählt das Unternehmen beim Einkauf ökologisch verträgliche Optionen. Dazu wird den Lieferant:innen Transparenz zugesichert und sie bekommen Mitspracherecht in Bereichen, die sie betreffen.

Die zweite Berührungsgruppe sind die Eigentümer:innen und Finanzpartner:innen, die sich für ein ethisches Finanzmanagement einsetzen. Dabei geben die Eigentümer:innen dem Wachstum des Unternehmens und nicht dem Wachstum des eigenen Kapitals den Vorrang. In Bezug auf die Umwelt, versucht das Unternehmen den eigenen ökologischen Fußabdruck durch regelmäßige Prüfung der eigenen Investitionsentscheidungen zu vermindern. Dazu bereiten die Eigentümer:innen relevante Berührungsgruppen darauf vor, Miteigentum zu bekommen und entwickeln eine lernende Organisation, durch gemeinsame Entscheidungsprozesse stetig weiter.

Die dritte Berührungsgruppe sind die Mitarbeitenden soll eine respektvolle und offene Unternehmenskultur sowie Kommunikation erhalten. Dazu sieht das Unternehmen Diversität als Ressource und sorgt durch das an Stärken orientierte Einsetzen der Mitarbeitenden für deren berufliche Entwicklung. Dazu verbessert ein Unternehmen die Arbeitskonditionen immer weiter und ermächtigt Mitarbeitende dazu, eigene Entscheidungen zu treffen. Im Sinne der Umwelt entwickelt das Unternehmen ein ökologisches Bewusstsein und fördert ein entsprechendes Verhalten von den Mitarbeitenden. Darüber hinaus schafft das Unternehmen Transparenz, in dem wesentliche und kritische Daten für die Mitarbeitenden offen gelegt werden. Dazu werden Führungskräfte durch die Mitarbeitende legitimiert und evaluiert. Dazu werden einzelnen Teams ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit übertragen.

Die vierte Berührungsgruppe sind die Kund*innen und Mitunternehmen. Bei ihnen wird darauf geachtet, dass Ehrlichkeit und Transparenz in der Beziehung herrscht und dass die Produkte, Dienstleistungen sowie die Kommunikation barrierefrei ist. Dazu arbeitet das Unternehmen mit anderen an Lösungen und Angeboten, die die Bedürfnisse der Kund:innen erkennen und bedienen. In Bezug auf die Umwelt ist ein Unternehmen bestrebt, den ökologischen Weg der Produkte für die Kund:innen einsehbar zu machen. Im Sinne der Transparenz werden die Kund:innen auch in die Produktentwicklung miteingebunden. Dazu versucht das Unternehmen, im Dialog mit den Kund:innen die Produkte nachhaltiger zu machen.

Die fünfte Berührungsgruppe ist das gesellschaftliche Umfeld, für das das Unternehmen auf Produkte und Dienstleistungen mit sozialen, ökologischen und gesundheitlichen Risiken verzichtet. Dazu leistet das Unternehmen durch die Steuern und Sozialabgaben einen Beitrag zum Gemeinwesen. Öffentliche Förderungen werden nur in dem Maße verwendet, wie es der Entwicklung des Unternehmens dient. In Bezug auf die Umwelt wird der Lebensweg der Produkte für alle einsehbar dargestellt. Dazu teilen die Unternehmen ihr Wissen bezüglich dem Verbessern der Umwelt mit anderen, ob andere Unternehmen oder einzelne Interessierte ist dabei unerheblich. In Bezug auf die Transparenz gibt das Unternehmen jeder Person das Recht und die Möglichkeit, Einwände zu erheben und Auskunft zu verlangen. Auch tritt das Unternehmen in einen Dialog mit den relevanten Berührungsgruppen und setzt sich im Allgemeinen für Transparenz und Mitbestimmung ein.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Gemeinwohl-Ökonomie ein idealistischer Ansatz sein mag, aber dennoch eine wichtige Vision für eine bessere Welt darstellt. Trotz der Herausforderungen und Schwierigkeiten, die mit der Umsetzung einhergehen, können wir durch transparentes Handeln, respektvollen Umgang miteinander und Umweltschutz Schritte in die richtige Richtung machen. Bei GEPROG sind wir fest davon überzeugt, dass kontinuierliche Forschung und Anpassung entscheidend sind, um unseren Beitrag zur Gemeinwohl-Ökonomie zu maximieren.

In der Zukunft werden wir weiterhin daran arbeiten, unsere Prozesse zu verbessern und unsere Maßnahmen für Umweltschutz, soziale Verantwortung und regionales Engagement zu stärken. Ein Bereich, auf den wir uns besonders konzentrieren werden, ist die Förderung nachhaltiger Partnerschaften und Lieferketten, um sicherzustellen, dass unsere Werte und Ziele in Einklang mit denen unserer Partner stehen. Ebenso werden wir unsere Bemühungen zur Reduzierung unseres ökologischen Fußabdrucks intensivieren und nach neuen Wegen suchen, um Ressourcen zu schonen.

Die Gemeinwohl-Ökonomie mag zwar ein anspruchsvolles Ziel sein, aber durch ständige Reflexion, Anpassung und Zusammenarbeit können wir Schritte in Richtung einer gerechteren und nachhaltigeren Wirtschaftsweise unternehmen. Wir sind entschlossen, unseren Beitrag zu leisten und hoffen, dass wir gemeinsam mit anderen Organisationen und Individuen immer näher an dieses Ideal herankommen können.

Quellen

Felber, C. (2014): Die Gemeinwohl-Ökonomie. Vision und Praxis einer nachhaltigen Zukunft.

Gemeinwohlökonomie Deutschland: Gemeinwohl-Matrix.

Gemeinwohlökonomie Deutschland: Mission und Geschichte.

Schmidpeter, R. (2012): Gemeinwohl-Ökonomie à la Felber – eine kritische Betrachtung.

Gemeinwohlökonomie
Nachhaltige Wirtschaft
Zurück zum Blog